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Ostermarsch Ulm 2022.JPG

pax christi

menschen machen frieden - mach mit.

Unser Name ist Programm: der Friede Christi. 

pax christi ist eine ökumenische Friedensbewegung in der katholischen Kirche. Sie verbindet Gebet und Aktion und arbeitet in der Tradition der Friedenslehre des II. Vatikanischen Konzils. 

Der pax christi Deutsche Sektion e.V. ist Mitglied des weltweiten Friedensnetzes Pax Christi International.

Entstanden ist die pax christi-Bewegung am Ende des II. Weltkrieges, als französische Christinnen und Christen ihren deutschen Schwestern und Brüdern zur Versöhnung die Hand reichten. 

» Alle Informationen zur Deutschen Sektion von pax christi

Ulmer Ostermarsch 2022

16. Apr 2022

Richard Bösch, Geschäftsführer und Referent für Friedensbildung bei pax christi Rottenburg-Stuttgart sprach beim Ulmer Ostermarsch - hier die Rede zum Nachlesen im Wortlaut.

Rede von Richard Bösch zum Ostermarsch in Ulm
am Karsamstag, 16. April 2022,
Hans-und-Sophie-Scholl-Platz


Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

vielen Dank für eurer Kommen. Mein Name ist Richard Bösch, ich engagiere mich bei pax christi, der internationalen katholischen Friedensbewegung, die in 60 Ländern der Welt für Frieden und Gerechtigkeit eintritt. Gerne bin ich der Einladung, beim Ulmer Ostermarsch zu sprechen, gefolgt! Vielen Dank an die Organisator:innen, insbesondere auch für den, wie ich finde, klugen und besonnenen Aufruf zum Ulmer Ostermarsch!

Wir bei pax christi und auch ich ganz persönlich, wir sind nach wie vor erschüttert über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und verurteilen ihn aufs Schärfste!

Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen und tritt das Völkerrecht mit Füßen. Die russische Regierung isoliert sich selbst damit und fügt der Ukraine, aber auch Russland schweren und nachhaltigen Schaden zu.

Dieser Krieg zerstört jeden Tag Menschenleben und Infrastruktur in der Ukraine. Er zerstört Vertrauen und schürt die Angst. Er wirft uns alle in Europa und der Welt zurück.

Wir fordern von der russischen Regierung, sofort die Waffen schweigen zu lassen, humanitäre Korridore und Hilfe in den besetzten Gebieten zuzulassen und im Rahmen eines internationalen Formats in Verhandlungen zu treten!

Wir sind in Gedanken und Gebeten bei der ukrainischen Bevölkerung, die furchtbare Wochen des Krieges und des Leidens durchlebt. Menschen auf der Flucht werden gezielt angegriffen. Dörfer und Städte werden eingekesselt, von der Versorgung abgeschnitten und praktisch ausgehungert. Krankenhäuser werden bombardiert, wahllose Massaker an der Zivilbevölkerung begangen und Massenvergewaltigungen durchgeführt. In Butscha, Kramatorsk und womöglich an vielen anderen Orten…

All das sind entsetzliche Kriegsverbrechen, die als solche benannt werden müssen. Unsere Forderung: Wladimir Putin und Mitverantwortliche in Politik und Militär müssen dafür vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt werden!

Wir sind in Gedanken und Gebeten auch bei der russischen Bevölkerung. Auch in Russland gibt es Menschen, die über diesen Krieg, der für sie wie ein Bruderkrieg ist, entsetzt sind. Wir senden unser Mitgefühl zu allen, die verzweifelt ertragen müssen, welchen Krieg die russische Regierung führt, ohne dass sie es verhindern können.Wir stehen mit großem Respekt hinter denen, die öffentlich gegen den Krieg protestieren, wissend, dass sie dafür drakonische Repressionen zu erdulden haben.

All das bringen wir in öffentlichen Zeichen, in Demonstrationen gegen den Krieg wie heute beim Ostermarsch, bei Mahnwachen und Friedensgebeten und im Rahmen unseres Engagements für Geflüchtete aus der Ukraine zum Ausdruck.

Aber lasst uns einen Moment inne halten und ehrlich machen: Wohl die wenigsten aus dem Kreis des Friedensbewegung, aber eben auch in der Wissenschaft haben damit gerechnet, dass es zu diesem Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine und zu diesem Ausmaß an Kriegsverbrechen kommt. Ja, wir haben die Sorgen und Warnungen aus der Ukraine, aus Polen und den baltischen Staaten vor Übergriffen der Putin-Regierung nicht ausreichend wahrgenommen. Ja, wir haben nicht klar genug Schlussfolgerungen aus den Angriffen russischer Truppen in Tschetschenien und Georgien und der Beteiligung Russlands in Syrien gezogen. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass Putin so weit geht.

Es schmerzt, dass sich die Hoffnung auf Friedensdividenden nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs, die man in der Friedensbewegung und in der Politik hatte, nicht bewahrheitet haben. Die Hoffnungen haben sich nicht bewahrheitet, weil es Versäumnisse und Unwillen in Ost und West gab.

Ja, viele von uns, auch ich, empfinden Wut, Verzweiflung und Angst angesichts der Schrecken dieses Kriegs und eines möglichen Kriegseintritts der NATO und, mehr noch, eines drohenden Atomkriegs.

Dennoch halten wir ganz nüchtern realpolitisch fest: Gerade vor dem Hintergrund dieser Szenarien müssen wir doch Auswege aus der Eskalationsspirale finden. Wir können in Europa auch um unser selbst Willen nicht dauerhaft als Feinde in einer existenzbedrohenden Auseinandersetzung mit Russland leben!

Der Schrecken und die Brutalität des russischen Angriffskriegs fordert uns auf vielen Ebenen heraus: politisch, wirtschaftlich, sozial…. und auf einer grundlegenden menschlichen Ebene, wo wir von den Ereignissen mitten ins Herz getroffen werden und manchmal auch nicht wissen, wie wir mit unseren Emotionen umgehen sollen. Dieser Krieg fordert auch das Selbstverständnis der Friedensbewegung pax christi heraus. Er fordert die Überzeugungen aller Menschen heraus, die bislang an die Möglichkeit "Frieden zu schaffen ohne Waffen" geglaubt haben. Er ist wie ein Schlag ins Gesicht für alle, die – gerade in Deutschland – tief verinnerlicht haben, dass "Nie wieder Krieg!" die zentrale Leitlinie politischen Handelns sein muss.

Natürlich wird auch in der Friedensbewegung heftig um pazifistische Positionen und Überzeugungen gerungen. Ist es richtig, Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern? Natürlich, sagen die einen, womit sollen sich die Ukrainer:innen sonst ihr Selbstverteidigungsrecht wahrnehmen? Wer Waffen liefert, muss auch wissen, dass es noch mehr Tote und noch mehr Zerstörung geben wird, sagen die anderen. Viele beschreiben die Situation als ein friedensethisches Dilemma.

Dennoch möchte ich heute für alle Menschen guten Willens in Anspruch nehmen: Es muss uns doch allen darum gehen, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen, weiteres Blutvergießen zu verhindern und nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. Mit Feuer löscht man kein Feuer!

Nehmen wir also klare Stellungnahmen wie die des Brigadegenerals a.D. Erich Vad wahr, der sagt, die Lieferungen schwerer Waffen seien potentiell „ein Weg in den dritten Weltkrieg“. Weiter sagt der ehemalige militärpolitische Berater der Bundesregierung in diesen Tagen: „Wir müssen den laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine vom Ende her denken. Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen."

Es ist wahr: Wir können nicht zulassen, dass sich der Krieg weiter verschärft und immer weiter in ein Stadium hineinschlittert, das der berühmte Konfliktforscher Friedrich Glasl als „Gemeinsam in den Abgrund“ beschreibt. In dieser Phase geht es den Konfliktparteien nur noch darum, den Feind um jeden Preis zu vernichten. In diesem Wissen gilt es, auch in einer verständlicherweise emotional aufgeheizten Atomsphäre, klare friedenspolitische Forderungen auszusprechen, die momentan wenig populär zu sein scheinen:

  1. Wir müssen dem Bewaffnungs- und Aufrüstungsreflex, der zwar psychologisch nachvollziehbar ist, aber unkalkulierbare Risiken für den weiteren Verlauf des Konflikts mit sich bringt, widerstehen!
  2. Die direkte diplomatische Kommunikation darf nicht abbrechen! Auch mit unrechtmäßigen Machthabern muss verhandelt werden, wenn damit weiteres Blutvergießen verhindert werden kann! 
  3. Es muss der deutschen und europäischen Politik darum gehen, mit klugen Strategien dazu beizutragen, dass Waffenstillstandsverhandlungen eingeleitet werden können. Gleichzeitig muss dabei die Perspektive einer zukünftigen Sicherheitsordnung, Stichwort: Neutralität, etwa im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), ins Spiel gebracht werden.

Schauen wir auf Deutschland: Ist die angekündigte militärische Aufrüstung im Rahmen eines „Sondervermögens Bundeswehr“ – oder besser: die Aufnahme von 100 Mrd. Extraschulden für die Bundeswehr – in dieser Situation wirklich ein alternativloser und kluger Beitrag zur Beförderung von Sicherheit?

Wir von pax christi halten eine solch weitreichende Aufrüstungsverpflichtung mit Verfassungsrang für den falschen Weg und haben Sorge, dass diese größte Rüstungsinvestition in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu einer neuen Rüstungsdynamik führt. Sie widerspricht dem in der Präambel des Grundgesetzes verankerten Friedensgebot, dort heißt es: „Von dem Willen beseelt, in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“.

Einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem 100 Milliarden-Sondervermögen Bundeswehr, das die Ausstattung der Bundeswehr für die Landesverteidigung verbessern soll, gibt es sowieso nicht. Die Mängel in der Ausrüstung sind nicht in erster Linie ein finanzielles Problem, sondern eins in Beschaffung, Logistik und interner Organisation. Auch die bisherigen Steigerungen des Rüstungsetats mit Blick auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, von 34 Mrd. in 2014 auf 53 Mrd. in 2021, haben daran wenig geändert.

Halten wir fest: Der Krieg in der Ukraine wird durch das angekündigte Sondervermögen keinen Tag früher enden. Die Neuausrichtung der Bundeswehr wird ebenso wenig heute oder morgen erfolgen.

Woher werden die Mittel kommen angesichts eines Rekordhaushalts von 460 Milliarden für 2022 bei einer geplanten Neuverschuldung von 99 Milliarden? Geplant ist offensichtlich, bei den Ärmsten der Armen zu sparen. Im Bundeshaushalt sind Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit und Humanitären Hilfe um 1,6 Milliarden Euro vorgesehen. Die Preisexplosion bei Weizen z. B. führt dazu, dass das Welternährungsprogramm die Nahrungsmittelhilfe in Hungergebieten wie dem Jemen stark einschränken muss. In Afghanistan sind 18 Millionen Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, unterernährt und hungern. Die Zusage im Koalitionsvertrag, dass die Ausgaben für Krisenprävention, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Maßstab eins zu eins wie die Ausgaben der Verteidigung steigen sollen, ist damit klar gebrochen.

Wir wollen nicht, dass die massive Erhöhung des Rüstungsetats und die Kürzung des Entwicklungsetats die finanzielle Bewältigung der Bedrohung von Nahrungsmittel- und Energiesicherheit, der Klimaverwerfungen und der globalen Ungerechtigkeit unmöglich machen. Wir müssen verhindern, dass hier Quellen für neue Kriege entstehen!

Nein, wir von pax christi plädieren für eine andere „Zeitenwende“. Wie engagieren uns für mehr Vertrauen in die Kraft des Zivilen. Denn die brauchen Deutschland und Europa, um den „wahren Schlachten der Zivilisation“, wie der Papst sagt: den Herausforderungen des Klimawandels oder den wieder wachsenden Hunger in rechtsbasierter internationaler Zusammenarbeit begegnen zu können.

Deutschland benötigt den Ausbau ziviler Instrumente der Krisenprävention und der Friedenskonsolidierung, um einen Beitrag für die ganzheitliche Sicherheit von Menschen schaffen zu können. Wenn wir über Sicherheit im 21. Jahrhundert reden, dann kann sich das nicht darin erschöpfen, dass wir über militärische Kapazitäten und Abschreckung reden. Menschliche Sicherheit braucht nicht mehr Waffen, sondern humanitäre Hilfe!

Ich möchte nun mit den Worten des Papstes schließen, der kürzlich bei einer Messe auf dem Peterplatz einen „echten Oster-Waffenstillstand“ gefordert hat. Dieser solle nicht dazu dienen, „um diese Zeit zum Aufrüsten und späteren Weiterkämpfen zu nutzen, sondern um durch wahrhaftige Verhandlungen zum Frieden zu gelangen.“

Ja, auch wir wünschen uns einen solchen „echten Oster-Waffenstillstand“ und eine echte Friedensperspektive durch Verhandlungen!

Wir wollen den Krieg in der Ukraine und alle Kriege stoppen und Politiker:innen in Deutschland zu geeigneten Schritten in diese Richtung drängen!

Lasst uns gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, die Quellen, aus denen sich dieser Krieg speisen kann, versiegen zu lassen – auch die mentalen! Lassen wir uns nicht hineinziehen in die simplen Feindbilder, die dieser Krieg produziert!

Lasst uns darauf drängen, dass Deserteuren und Befehlsverweigeren sowohl den russischen als auch den ukrainischen Zuflucht in Deutschland gewährt wird.

Lasst uns dafür eintreten, Kontakte in die Zivilgesellschaft Russlands aufrechtzuerhalten, z.B. zur Gemeinschaft der Soldatenmütter oder den verbliebenen unabhängigen Medien.

Lasst uns gemeinsam den Blick dafür weiten, dass Sicherheit weit mehr ist, als militärische Kapazitäten und Abschreckung!

Lasst uns gemeinsam eine Kultur des Friedens aufbauen, die auf Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechten gründet!

Vielen Dank das ihr mir zugehört haben! Ich wünsche euch und euren Lieben ein gesegnetes Osterfest!


Sie finden die Rede zum Ulmer Ostermarsch von Richard Bösch auch rechts im Download-Bereich.